Auf den höchsten Binnengipfel Italiens.
Datum: 07.01.2023
Teilnehmer: Helmut
Gipfel: 4061m
Wetter: letzter stabiler Schönwettertag bevor eine Front Neuschnee bringt
Schwierigkeiten: 2100Hm, UIAA II am Gipfelgrat
Bedingungen: sehr wenig Schnee, viel Blankeis, Aufstieg vom Tal mit Ski bis 3800m möglich, Abfahrt bis etwa 200 Höhenmeter unterhalb der Hütte möglich, Schnee leicht bis mäßig windbeeinflusst, gut zu fahren.
Lawinenlage: 1 / 2 über 2500m
Strecke: Parkplatz Pont im Val Savarenche 1980m – Refuge du Tetras Lyre - Rifugio Vittorio Emanuele II 2732m – Ghiacciaio del Gran Paradiso – Gipfel Gran Paradiso 4061m – Ghiacciaio del Gran Paradiso - Rifugio Vittorio Emanuel II 2732m - Refuge du Tetras Lyre - Parkplatz Pont im Val Savarenche 1980m
Ausrüstung: Skihochtourenausrüstung, 30m Halbseil, Gurt, Harscheisen, Steigeisen, Lawinenausrüstung, Pickel
Karte: IGC Karte 101 Gran Paradiso / La Grivola
Ein kleiner Überblick unserer Runde. Jedoch ohne jeglichen Maßstab.
Der Gran Paradiso ist unter normalen Umständen und Verhältnissen kein schwieriger Berg. Mäßig steile Hänge, ein relativ spaltenarmer Gletscher und nur im Gipfelbereich leichte Kletterei lassen den höchsten Berg Italiens auch deshalb zu einem sehr begehrten Ziel für Bergsteiger und Tourengehern werden. Darum wird er auch in den beiden Hauptzeiten, im Frühjahr mit Ski und im Sommer zu Fuß, oft regelrecht überrannt. Die beiden Hütten, das Rifugio Chabod und das Refugio Vittorio Emanuele II, die beide zum Normalweg führen, sind dann meist hoffnungslos überfüllt.
Ohne Worte...
Wie schon in meinem Gran Paradiso Bericht aus dem Jahr 2021, wollte ich dieses Ziel außerhalb der Saison vom Tal aus begehen. Leider waren Peter und ich damals aus verschiedenen Gründen nicht erfolgreich. Wir waren damals beide schon etwas enttäuscht. Dieses Erlebnis stachelte mich aber eher noch mehr an, an meiner Taktik festzuhalten. Mit Helmut kam dieses Mal ein Tourenpartner mit, der es besonders liebt, ein wenig spontan und abenteuerlich unterwegs zu sein. Da wir nicht genau wissen, wie die Schneelage und die Verhältnisse auf dem Weg zur Hütte und anschließend auf dem Gletscher sein werden, ist das genau sein Bereich, wo er sich wohlfühlt. Am Dreikönigstag starteten wir vom heimatlichen Niederbayern ins etwa neun Stunden entfernte Pont im Val Savarenche, im Nordwesten Italiens. Dort machten wir es uns in Helmuts Bus am Parkplatz des Wirtshauses gemütlich. Wir besprachen noch kurz die morgige Taktik, stimmten unsere Ausrüstung ab, packten und gingen dann zum gemütlichen Teil über.
Im ersten Licht des neuen Tages...
Der Wecker beendete eine kühle und meist schlaflose Nacht um 04:15Uhr. Gut zwanzig Minuten später stiegen wir in unsere Ski. Über eine Langlauf Loipe konnten wir gemächlich starten, unseren Körper langsam warm werden lassen. Während wir so eintönig in Richtung Talschluss gleiteten, fragte ich mich schon das eine oder andere Mal, warum ich das überhaupt mache. Kalte Finger, Kalte Füße, starre Muskeln und Sehnen. Aber ein Blick in den mit Sternen übersäten, wolkenlosen Himmel, wo der Vollmond über uns leuchtet und die Aussicht auf einen der ehrlichsten 4000er Gipfel überhaupt, gaben mir die Motivation zurück. Nach gut einem Kilometer erreichten wir das Refuge du Tetras Lyre, wo wir nach links in einen lichten Lärchenwald einbogen. Einen Trampelpfad folgend war die Wegfindung heute ein Klacks. Im Mondlicht, dass das Einschalten der Stirnlampe unnötig machte, ging jeder von uns in seinem Tempo. So hatte keiner das Gefühl zu langsam oder zu schnell zu sein.
Irgendwie magisch, diese Morgenstimmung.
Über den sehr gut angelegten Sommerweg gewannen wir rasch an Höhe. Die Schneelage war für einen Skianstieg zwar ausreichend gut, aber auch hier auf der Südseite der Alpen war bisher einfach zu wenig Schnee gefallen. Nach gut zwei Stunden erreichten wir die Hütte, das Refugio Vittorio Emanuel auf 2732m, wo wir uns wieder sammelten. Im Winterraum über uns regte sich auch schon was, also zogen wir weiter, hinter der Hütte nach Norden, einen Moränenrücken hinauf. In einem weiter Bogen erreichten wir das Schuttbeladene ehemalige Becken des Gran Paradiso Gletschers. Im kupierten Gelände zogen wir unsere Spuren in den Talschluss, wo sich die Skiroute nach rechts, den Steilhang hinauf wendete. Über Rinnen und Mulden kämpften wir uns höher und höher. Ich musste schon das eine oder andere Mal stehen bleiben. Nicht nur wegen der Aussicht, die sich hinter mir auftat, auch weil ich ein wenig verschnaufen musste. Der beginnende Morgen und die aufgehende Sonne ließen die Bergspitzen rot glühen. Was für ein Spektakel! Sonnenaufgänge im Hochgebirge, das sind die Augenblicke, für die sich das Ganze lohnt.
Am abgeblasenen Plateau mit Blick zum La Tresenta.
Oben angekommen, wurde das Gelände flach und abgeblasen. Die Schneedecke war auf ein Minimum zurückgegangen. Kleine und große Steine kamen zu Vorschein und machten ein Vorwärtskommen zu einem Slalom Aufstieg. Ich folgte den mit Steinmännern gut markierten Sommerweg auf einen Moränenhang zu. Hier konnte ich den eindrucksvollen Gipfel des La Tresenta und ein Nebelmeer das über der Poebene liegt dahinter sehen. Gewaltig!
Kurz vor dem Moränenhang drehte ich nach links ein, wo wir steil, in Spitzkehren die Gletscherzunge gewinnen konnten. Hier auf gut 3700m, wo der Zustieg vom Rifugio Chabod einmündete, erreichten mich das erste Mal die Sonnenstrahlen. Was für eine Wohltat, hier konnte ich auf Helmut warten. Die Aussicht war schon sensationell. Über mir die zackigen Gipfelchen des Gran Paradiso, wo man, wenn man genau hinsieht die Madonna sehen kann und unter mir ein Nebelmeer, über das sich der Horizont voller mir weitgehendst unbekannte Berge ausbreitet. Was für ein Moment!
Mein exklusiver Warteplatz...
Als Helmut wieder da ist, steigen wir weiter den Gletscher hinauf. Aber bereits 15 Minuten später, auf etwa 3800m stoppte ein Blankeisaufschwung unseren Skiaufstieg. Hier war kein Weiterkommen mit unseren Ski. Also machten wir ein Skidepot und wechselten auf Steigeisen. Erst über eine mit Triebschnee gefüllte Rinne, dann auf dem abgeblasenen Gletscher gewannen wir wieder schnell an Höhe. Vor einem weiteren Steilaufschwung machte ich kurz halt, schaute mir den glitzernden, blanken Hang an und überlegte kurz, wie ich diese Barriere am besten angehen kann. Ich packte meinen Pickel vom Rucksack und ging den Hang direkt an. In kurzen Serpentinen stieg ich, teilweise mit den Frontalzacken an den wenigen Restschneeflecken entlang hinauf auf das mit Schnee gefüllte Gletscherbecken. Für mich die Schlüsselstelle der gesamten Tour. Da müssen wir im Abstieg aufpassen.
die letzten 150 Höhenmeter...
Oben angekommen war der Gipfel zum Greifen nah. Nur noch etwa 150 Höhenmeter über ein mit Schnee gefülltes Gletscherbecken. Aber diese 150 Höhenmeter hatten es noch einmal in sich. Denn die Schneedecke war nicht gleichmäßig fest. Drei Schritte hielt sie, dann sank ich wieder mal 3 bis 5 Schritte bis zum Knie ein. Ich mühte mich ab, kam mir vor wie ein Höhenbergsteiger in Nepal. Ich verabschiedete mich von meiner direkten Variante und wich immer weiter nach rechts, zu alten, hoffentlich verfestigteren Spuren aus. Ein wenig besser ging es dort, aber es ging immer noch sehr mühsam. Endlich an der Randspalte angekommen verschnaufte ich erst ein wenig, schaute wo Helmut war und machte mich dran die Randspalte an einer passenden Stelle zu überwinden. In Zick Zack überwand ich den letzten, schon blank werdenden Hang bis zur Scharte hinauf.
Impressionen vom Aufstieg.
Oben angekommen, empfing mich der böige, kalte Wind. Auf einen Schlag wurde es richtig kalt. Ich zog meine Hardshell über und überlegte kurz, ob ich auf Helmut warten oder doch weiter zum Gipfel aufsteigen sollte. Ich entschied mich wegen dem Wind für Variante zwei und stieg in die teilweise schneebedeckten Felsen ein. Über leichtes Gelände, max. UIAA I stieg ich hinauf. Immer mal wieder lugte die weiße Madonna zwischen den Felsen hervor. Ich querte unterhalb einer riesigen senkrechten Steinplatte auf einem Art Podest auf die andere Seite des Madonna Gipfels und fand dort die eingebohrten Aufstiegsbügel, die mich in Sekunden zum höchsten Punkt des Gran Paradiso brachten. Die Aussicht, die mich dort oben erwartete, war schon gewaltig.
Gipfelpanorama mit Blick nach Nord Nordwest.
Nordöstlich von mir die Großen des Wallis, allen voran, das Matterhorn, das sich prominent in den Vordergrund spielt. Im Osten das Nebelmeer über der Poebene, im Süden die Gipfel der Dauphine und Seelalpen. Im Westen und Nordwesten Mont Blanc und Chamonix Berge. Wie in einer anderen Welt schaue ich in alle Himmelrichtungen, versuche Berge zu benennen und genieße einfach diesen Moment, völlig allein auf einem der meistbesuchten 4000er Gipfel.
An den Gipfelfelsen...
Ich beginne zu zittern, zu frieren aber zwinge mich auf dem höchsten Punkt zu bleiben. Ich will einfach den Moment auch mit Helmut teilen. Er versucht noch kurz über den eigentlichen Anstiegsweg, über ungute mit lockerem Schnee gefüllten Platten aufzusteigen, dreht aber dann auch um und nimmt den Aufstieg über Eisenbügel. Endlich er ist da! Nochmal kommt große Freude und Genugtuung über mich! Wir machen ein paar gemeinsame Fotos, Gratulieren uns und steigen dann rasch von diesem sturmumtosten Ort. Ich stecke noch schnell einen „Edelstein“ vom Gipfel für meine Tochter ein und verlasse die Gipfelfelsen. Wieder in der Scharte angekommen, steigen wir rasch aber konzentriert auf das flachere Gletscherbecken ab, um die nachkommende Bergführer-Seilschaft nicht in der Steilflanke zu begegnen. Ich nutze die Spur der vier aufgestiegenen Italiener und komme gut in einer verfestigten Spur zum blanken Steilhang.
Impressionen vom Gipfel.
Helmut hatte die Idee, den Hang auf der orografisch linken Seite anzupacken. Hier hatte er im Aufstieg gesehen, dass wir da im Schnee relativ weit hinunterkommen würden. Gesagt, getan. Und er hatte recht! Wir stiegen problemlos im windgepressten Schnee easy zum flachen Gletscher hinunter. Ist einfacher gegangen als ich mir im Aufstieg gedacht hatte.
Bei der Madonna...
Kurze Zeit später waren wir wieder am Skidepot und konnten erst einmal ein wenig Pause machen und unsere Ausrüstung checken. Hier hatten wir recht amüsante Minuten mit einer frechen Dohle. Da uns aber noch einiges an Abfahrt vor uns lag, machten wir uns bald ans Skifahren. Über wunderbar geneigte Gletscherflächen fuhren wir mit angezogener Handbremse im leicht bis mäßig windbeeinflussten Schnee. Bis hierher konnten wir uns wirklich nicht beschweren.
Unten im Rinnensystem angekommen, fuhren wir meist einzeln in die steilen Mulden und Rinnen hinein. Im ehemaligen Gletscherbecken mussten wir aufpassen, hier lagen die Steine oft nur einige Zentimeter unter der Schneedecke, so fuhren wir wie auf rohen Eiern in sanften Schwüngen in Richtung Hütte. Auf der letzten Querung zur Hütte rutschten wir mehr oder weniger ab und mussten die Ski nur für die letzten hundert Meter abschnallen.
Rifugio Vittorio Emanuel II.
Hier auf der Hütte machten wir ein letztes Mal Pause und richteten unsere Ausrüstung für die letzten Schwünge. Wir wollten es offenlassen, wie weit wir hinunterfahren. Je nach Gefühl und Schneelage wollte wir entscheiden.
Die ersten Meter gingen noch recht gut. Hier ließ sich noch relativ Materialschonend abfahren. Aber dann bei etwa 2500 Meter, kurz vor den Serpentinen des Sommerwegs schnallten wir ab und ließen es gut sein. Da ja auch der Sommerweg gut verfestigt und gut zu gehen war, konnten wir trotz der Ski losen Fortbewegung auf einen schnellen und problemlosen Abstieg hoffen.
In gut einer Stunde waren wir unten im Tal, wo die Sonne schon verschwunden war. Auf der leicht talauswärts laufenden Loipe konnten wir es hinaus zum Auto laufen lassen, das wir nach gut 10 Stunden erreichten.
Abschied von der Hütte.
Fazit:
Was für ein Tag, was für ein Berg, was für eine Aussicht, was für ein Erlebnis! Was kann man sich Besseres wünschen, als mit einem hohen Berg, einem 4000er in die Tourensaison, ins Jahr zu starten. Mich freut es, dass ich es endlich geschafft habe, dort oben zu stehen. Besonders nach dem letzten Jahr, wo ich unverrichteter Dinge wieder abziehen musste.
Ich bin sehr zufrieden mit meiner Leistung. Trotz des für mich schwierigem Herbst, wo ich krankheitsbedingt viele Wochen ausgefallen bin und einiges an Kondition einbüßte, lief es heute sehr gut für mich.
Ein besonderes Erlebnis war es heute für mich, weil ich doch um einiges mehr kämpfen hatte müssen, als in den vielen Tourenbeschreibungen stand. Ein „L+“ oder „WS-„ war diese Tour bei diesen Verhältnissen bestimmt nicht. Der Gletscherrückgang, die vielen Blankeis Passagen und der wenige Schnee machen diese Unternehmung zu einer anspruchsvollen Sache, die ohne weiteres die Schwierigkeitsbewertung WS+ oder ZS- verdient.
Danken möchte ich Helmut, der mich begleitete und natürlich meine beiden Mädels, die mir spontan die Möglichkeit gaben, mit Helmut diese Tour zu realisieren!
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